Jacques Camatte, Gianni Collu – Von der Organisation

Der folgende Brief (vom 04.09.1969) führte zur Auflösung der Gruppe, die sich auf der Grundlage der in Invariance1 dargelegten Positionen zu bilden begonnen hatte. Der Brief startete einen wichtigen Prozess der Reflexion und Debatte, der seither andauert und dessen Schlussfolgerungen bereits in Transition2 diskutiert wurden.

Einige der in den Briefen aufgeworfenen Fragen wurden zwar teilweise angegangen, andere wurden jedoch kaum behandelt. Deshalb ist es notwendig – angesichts der Wichtigkeit, einen klaren Bruch mit der Vergangenheit zu vollziehen – den Brief jetzt zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung soll es den Leser:innen ermöglichen, die bisher geleistete Arbeit zu würdigen und zu erkennen, was noch zu tun bleibt.

Da es sich gleichzeitig um eine Zäsur (und damit um ein Eregebnis) und um einen Ausgangspunkt handelt, enthält das Schreiben eine gewisse Anzahl von Ungenauigkeiten, Keime möglicher Fehler. Wir werden die wichtigsten davon in einer Anmerkung aufführen. Da es uns damals, nachdem wir die Methode der Gruppe abgelehnt hatten, möglich war, “konkret” zu skizzieren, wie man Revolutionär:in sein kann, hätte unsere Ablehnung der kleinen Gruppe als Rückkehr zu einem mehr oder weniger Stirnerschen Individualismus interpretiert werden können. Als ob die einzige Garantie von nun an die von den einzelnen Revolutionär:innen gepflegte Subjektivität sein würde! Weit gefehlt. Es war notwendig, eine bestimmte Wahrnehmung der sozialen Realität und die damit verbundene Praxis öffentlich abzulehnen, da sie ein Ausgangspunkt für den Prozess der Racketisierung waren. Wenn wir uns also völlig aus der Bewegung der politischen Grüppchen zurückzogen, dann nur um gleichzeitig mit anderen Revolutionär:innen, die einen analogen Bruch vollzogen hatten, in Verbindung treten zu können. Jetzt gibt es direkt eine Produktion von Revolutionär:innen, die den Punkt, an dem wir unseren Bruch vollziehen mussten, fast sofort übertrifft. Es gibt also eine potenzielle “Vereinigung”, die infrage käme, wenn wir den Bruch mit dem politischen Standpunkt nicht bis in die Tiefen unseres individuellen Bewusstseins tragen würden. Da das Wesen der Politik im Wesentlichen in der Repräsentation besteht, versucht jede Gruppe ständig ein eindrucksvolles Bild auf der gesellschaftlichen Leinwand zu projizieren. Die Gruppen erklären immer, wie sie sich selbst darstellen, um von bestimmten Leuten als die Avantgarde für die Vertretung der Anderen, der Klasse, anerkannt zu werden. Dies zeigt sich in dem berühmten “Was uns unterscheidet” der verschiedenen kleinen Gruppen auf der Suche nach Anerkennung. Jede Abgrenzung ist eine Begrenzung und führt oft sehr schnell zu einer Reduzierung der Abgrenzung auf einige repräsentative Slogans für das racketeristische Marketing. Jede politische Repräsentation ist ein Schirm und damit ein Hindernis für eine Verschmelzung der Kräfte. Da Repräsentation sowohl auf der individuellen als auch auf der Gruppenebene stattfinden kann, wäre der Rückgriff auf die erste Ebene für uns eine Wiederholung der Vergangenheit.

Camatte, 1972



Wir beide geben keinen Pfifferling für Popularität. Beweis z.B., im Widerwillen gegen allen Personenkultus, habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiednen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, außer hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, daß alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich.

Marx an Wilhelm Blos – 0.11.1877, MEW 34, S. 308.

 

Kann man im bürgerlichen Umgang oder Trade dem Schmutz entgehn? Nur ist er in letztrem an seinem naturwüchsigen Ort. […] Die ehrliche Niederträchtigkeit oder niederträchtige Ehrlichkeit zahlungsfähiger […] Moral steht mir keinen Deut höher als die irrespektable Niedertracht, von der weder die ersten christlichen Gemeinden, noch der Jakobinerklub, noch unser weiland „Bund” sich ganz rein halten konnten. Nur gewöhnt man sich, im bürgerlichen Verkehr das Gefühl für die respektable Niedertracht oder niederträchtige Respektabilität zu verlieren.

Marx an Ferdinand Freiligrath – 29.02.1860, MEW 30, S. 492.

 

Die Etablierung des Kapitals in der materiellen Existenz und damit in der sozialen Gemeinschaft geht einher mit dem Verschwinden des Kapitalisten als traditionelle Figur, der relativen und manchmal absoluten Verkleinerung des Proletariats und dem Wachstum neuer Mittelschichten. Jede menschliche Gemeinschaft, und sei sie noch so klein, ist durch die Existenzweise der materiellen Gemeinschaft bedingt. Die gegenwärtige Existenzweise ergibt sich aus der Tatsache, dass das Kapital nur dann in der Lage ist, sich selbst zu verwerten, also zu existieren und sich zu entwickeln, wenn ein Teilchen von ihm, zur gleichen Zeit, in der es sich veräußert, dem gesellschaftlichen Ganzen entgegentritt und sich in Beziehung zum Gesamten vergesellschafteten Äquivalent, dem Kapital, setzt. Es braucht diese Konfrontation (Konkurrenz, Rivalität); es existiert nur durch Differenzierung. Von diesem Punkt aus bildet sich ein soziales Gefüge, das auf dem Wettbewerb rivalisierender “Organisationen” (Rackets) beruht.

 

Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe u n d Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.

Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S. 454.

 

Die Expropriation erstreckt sich hier von den unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; u n d der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner Glücksritter.

Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S.455 f.

 

Das Unternehmen als Sitz des Produktionsprozesses (Wertschöpfung) ist ein Ort, der die Bewegung des Kapitals bremst, es also fixiert. Das Kapital muss also diese Fixierung überwinden, diesen festgelegten Charakter verlieren. So entsteht das eigentumslose Unternehmen, das noch eine mystifizierte Ertragsform des Mehrwerts zulässt. Hier ist das konstante Kapital gleich Null, sodass nur ein kleiner Kapitalvorschuss nötig ist, um das “Geschäft” ins Rollen zu bringen. Schließlich gibt es sogar fiktive Unternehmen, dank derer sich die unkontrollierteste Spekulation entwickelt.

 

Heute tritt das Kapital ständig in Form einer “Organisation” auf.” Hinter diesem Wort – in den glorreichen Tagen der Arbeitskämpfe gleichbedeutend mit Brüderlichkeit im offenen Kampf, heute aber nur noch eine heuchlerische Fiktion über das gemeinsame Interesse von Unternehmern, Verwaltern, Technikern, Hilfsarbeitern, Robotern und Aufpassern -, hinter den nichtssagenden und anti-mnemonischen Markenzeichen der Unternehmen, hinter den Begriffen “Elemente der Produktion” und “Stimulierung des Staatseinkommens” erfüllt das “Kapital” noch immer seine alte, abstoßende Funktion; eine Funktion, die weit unwürdiger ist als die des Unternehmers, der zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft seine Intelligenz, seinen Mut und seinen wahren Pioniergeist persönlich eingebracht hat.

Die Organisation ist nicht nur der moderne entpersonalisierte Kapitalist, sondern auch der Kapitalist ohne Kapital, denn sie braucht kein Kapital…

Die Unternehmensorganisation hat ihren eigenen Plan. Es wird kein zuverlässiges Unternehmen mit Vermögenswerten gegründet, sondern eine “Firmenfront” mit einem fiktiven Kapital. Wenn etwas im Voraus gezahlt wird, dann nur, um die Sympathie der staatlichen Stellen zu gewinnen, die Angebote, Vorschläge und Verträge prüfen.

Dies offenbart die Falschheit der dummen Doktrin, dass die Staats- oder Parteibürokratie eine neue herrschende Klasse darstellt, die Proletarier und Kapitalisten gleichermaßen ausnimmt – eine lächerliche Hypothese, die aus marxistischer Sicht leicht zu verwerfen ist. Heute ist der “Spezialist” ein Raubtier, der Bürokrat ein erbärmlicher Speichellecker.

Die Organisation unterscheidet sich von der Arbeiterkommune (eine libertäre Illusion, die in keinem definierten Rahmen zu finden ist) dadurch, dass es in jeder Form statt Gleichheit der Leistung in einer gemeinsamen Arbeit eine Hierarchie der Funktionen und Leistungen gibt. Es kann nicht anders sein, wenn das Unternehmen auf dem Markt autonom ist und eine profitable Bilanz vorlegen muss.

Jüngste Berichte aus Rußland über die regionale Dezentralisierung und erweiterte Selbständigkeit einzelner Konzerne zeigen, daß die Tendenz zu einer explosionsartigen Ausweitung des Vertragssystems geht, bei dem sich der Staat in allen Wirtschaftsbereichen an Organisationen verdingt, die faktisch Geschäftsbanden sind, mit wechselnder und schwer faßbarer personeller Zusammensetzung. Dies ähnelt den verschiedenen gierigen Formen, die die moderne Bauindustrie in allen zeitgenössischen kapitalistischen Systemen kennzeichnen.

 

A. Bordiga, ”The Economic and Social Structure in Russia Today” in il programma comunista, no. 7, 1957. Edition de L’oubli 1975, pp. 230-31.

 

Der Staat vermietet sich nicht nur an Banden, sondern wird selbst zu einer Bande (Racket). Trotzdem spielt er immer noch die Rolle des Vermittlers.

 

[…]3

 

Der Staat erschien in seiner reinen Form, mit der Macht des allgemeinen Äquivalents, in der Zeit des Wachstums des Wertgesetzes in der Periode der einfachen Warenproduktion. In der Phase der formellen Herrschaft des Kapitals, als das Kapital das Wertgesetz noch nicht beherrschte, war der Staat ein Vermittler zwischen diesem, den Überresten der verbliebener Produktionsweisen und dem Proletariat selbst. Das Kreditsystem war noch unentwickelt und hatte noch nicht in großem Umfang fiktives Kapital hervorgebracht. Das Kapital brauchte noch einen starren Goldstandard. Mit dem Übergang zur realen Herrschaft schuf das Kapital sein eigenes allgemeines Äquivalent, das nicht mehr so starr sein konnte wie in der Periode der einfachen Zirkulation. Der Staat selbst musste seine Starrheit verlieren und zu einer Bande werden, die zwischen den verschiedenen Banden und zwischen dem Gesamtkapital und den Einzelkapitalen vermittelt.

Die gleiche Art von Wandel können wir im politischen Bereich beobachten. Das Zentralkomitee einer Partei oder das Zentrum jeder Art von Gruppierung spielt dieselbe Rolle wie der Staat. Dem demokratischen Zentralismus gelang es nur, die für die formale Herrschaft charakteristische parlamentarische Form nachzuahmen. Und der organische Zentralismus, der lediglich in negativer Weise als Ablehnung der Demokratie und ihrer Form (Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit, Abstimmungen, Kongresse usw.) bekräftigt wird, bleibt in Wirklichkeit nur in den moderneren Formen gefangen. Dies führt zu einer Mystifizierung der Organisation (wie beim Faschismus). So hat sich die PCI (Internationale Kommunistische Partei) zu einer Bande entwickelt.

Da das Proletariat vernichtet wurde, stößt diese Tendenz des Kapitals auf keinen wirklichen Widerstand in der Gesellschaft und kann sich daher umso effizienter selbst produzieren. Das wirkliche Wesen des Proletariats wurde geleugnet, es existiert nur noch als Objekt des Kapitals. In ähnlicher Weise wurde die Theorie des Proletariats, der Marxismus, zerstört, indem sie zunächst von Kautsky revidiert und dann von Bernstein liquidiert wurde. Dies geschah auf endgültige Art und Weise, denn seither ist es keinem Angriff des Proletariats gelungen, den Marxismus wieder zu etablieren. Dies ist nur eine andere Art zu sagen, dass es dem Kapital gelungen ist, seine reale Herrschaft zu etablieren. Um dies zu erreichen, musste das Kapital die Bewegung, die es negiert, das Proletariat, absorbieren und eine Einheit herstellen, in der das Proletariat lediglich ein Objekt des Kapitals ist. Diese Einheit kann nur durch eine Krise, wie sie von Marx beschrieben wurde, zerstört werden. Daraus folgt, dass alle Formen der politischen Organisation der Arbeiterklasse verschwunden sind. Stattdessen stehen sich Banden in einem obszönen Wettbewerb gegenüber, regelrechte Rackets, die in dem, was sie anbieten, miteinander rivalisieren, aber in ihrem Wesen identisch sind.

Die Existenz der Banden ergibt sich also aus der Tendenz des Kapitals, seine Widersprüche zu absorbieren, aus seiner Bewegung der Negation und aus seiner Reproduktion in einer fiktiven Form. Das Kapital leugnet die Grundprinzipien, auf denen es sich aufbaut, oder neigt dazu, sie zu leugnen, aber in Wirklichkeit lässt es sie in einer fiktiven Form wieder aufleben. Die Bande ist ein deutlicher Ausdruck dieser Dualität:

der Boss, der befiehlt = Karikatur des traditionellen Individuums (und seiner Clique)

die kollektive Form = Karikatur des auf gemeinsamen Interessen beruhenden Gemeinwesens

Die Bewegung der Negation wird also in der Bande, die die Verwirklichung der Erscheinung ist, wieder aufgenommen. Die Bande erfüllt auch eine andere Forderung des Kapitals: Sie ersetzt alle natürlichen oder menschlichen Voraussetzungen durch vom Kapital bestimmte Voraussetzungen.

In ihren Außenbeziehungen neigt die politische Bande dazu, die Existenz der Clique zu verschleiern, da sie verführen muss, um zu rekrutieren. Sie schmückt sich mit einem Schleier der Bescheidenheit, um ihre Macht zu vergrößern. Wenn sich die Clique in Zeitschriften, Rezensionen und Flugblättern an Außenstehende wendet, meint sie, auf der Ebene der Masse sprechen zu müssen, um verstanden zu werden. Sie spricht über das Unmittelbare, weil sie vermitteln will. Da sie alle Menschen außerhalb der Bande für schwachsinnig hält, fühlt sie sich verpflichtet, Banalitäten und Blödsinn zu veröffentlichen, um sie erfolgreich zu verführen. Am Ende verführt sie sich selbst durch ihren eigenen Schwachsinn und wird so vom umgebenden Milieu aufgesogen. Aber eine andere Bande wird ihren Platz einnehmen, und ihr erstes theoretisches Gejammer wird darin bestehen, jede Missetat und jeden Fehler denen zuzuschreiben, die ihr vorausgegangen sind, und auf diese Weise nach einer neuen Sprache zu suchen, um wieder mit der großen Praxis der Verführung zu beginnen; um verführen zu können, muss sie anders als die anderen erscheinen.

Einmal in der Bande (oder irgendeiner Art von Unternehmen) ist der Einzelne durch alle psychologischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft an sie gebunden. Zeigt er irgendwelche Fähigkeiten, werden diese sofort ausgenutzt, ohne dass das Individuum eine Chance gehabt hätte, die von ihm akzeptierte “Theorie” zu meistern. Im Gegenzug erhält er eine Position in der herrschenden Clique, er wird zu einem kleinen Anführer4 ernannt. Wenn er seine Fähigkeiten nicht unter Beweis stellt, findet trotzdem ein Austausch statt: zwischen seiner Aufnahme in die Bande und seiner Pflicht, deren Position zu verbreiten. Selbst in den Gruppen, die sich den sozialen Gegebenheiten entziehen wollen, setzt sich der Bandenmechanismus aufgrund des unterschiedlichen theoretischen Entwicklungsstandes der Mitglieder der Gruppierung durch. Die Unfähigkeit, sich theoretischen Fragen eigenständig zu stellen, führt dazu, dass sich der Einzelne hinter die Autorität eines anderen Mitglieds, das objektiv zum Anführer wird, oder hinter die Gruppeneinheit, die zur Bande wird, zurückzieht. In seinen Beziehungen zu Personen außerhalb der Gruppe nutzt der Einzelne seine Zugehörigkeit, um andere auszuschließen und sich von ihnen abzugrenzen, und sei es nur, um sich – in letzter Konsequenz – vor der Feststellung seiner eigenen theoretischen Schwächen zu schützen. Dazugehören, um auszugrenzen, das ist die innere Dynamik der Bande, die auf einem – zugegebenen oder nicht zugegebenen – Gegensatz zwischen dem Äußeren und dem Inneren der Gruppe beruht. Selbst eine informelle Gruppe verkommt zu einem politischen Racket, dem klassischen Fall, dass die Theorie zur Ideologie wird.

Der Wunsch, einer Bande anzugehören, entspringt dem Wunsch, mit einer Gruppe identifiziert zu werden, die ein gewisses Prestige verkörpert, theoretisches Prestige für Intellektuelle und organisatorisches Prestige für sogenannte Praktiker:innen. Auch die kommerzielle Logik fließt in die “theoretische” Bildung ein. Mit einer wachsenden Masse an ideologischem Warenkapital, das es zu verwerten gilt, wird es notwendig, eine tiefe Motivation zu schaffen, damit die Menschen Waren kaufen. Die beste Motivation dafür ist: mehr lernen, mehr lesen, um oben zu sein, um sich von der Masse abzuheben. Prestige und Ausgrenzung sind die Zeichen des Wettbewerbs in all seinen Formen; so auch bei diesen Banden, die sich ihrer Originalität, ihres Prestiges rühmen müssen, um aufzufallen. So entstehen der Kult um die Organisation und die Verherrlichung der Eigenheiten der Bande. Von da an geht es nicht mehr um die Verteidigung einer “Theorie”, sondern um die Bewahrung einer Organisationstradition (vgl. Die PCI und ihre Vergötterung der italienischen Linken).

Theorie wird auch oft für politische Manöver erworben, z. B. um den eigenen Versuch zu unterstützen, eine Führungsposition zu erlangen, oder um die Absetzung eines amtierenden Führers zu rechtfertigen.

Der Gegensatz zwischen Innen und Außen und die Bandenstruktur entwickeln den Geist des Wettbewerbs auf ein Höchstmaß. Angesichts der unterschiedlichen theoretischen Kenntnisse der Mitglieder wird die Aneignung von Theorien faktisch zu einem Element der politischen Auslese, einem Euphemismus für Arbeitsteilung. Während man auf der einen Seite über die bestehende Gesellschaft theoretisiert, wird auf der anderen Seite innerhalb der Gruppe unter dem Vorwand, sie zu negieren, eine ungezügelte Nachahmung eingeführt, die in einer Hierarchisierung endet, die noch extremer ist als in der Gesellschaft im Allgemeinen; zumal sich der Innen-Außen-Gegensatz intern in der Spaltung zwischen dem Zentrum der Bande und der Masse der Militanten reproduziert.

Die politische Bande erreicht ihre Vollkommenheit in den Gruppen, die vorgeben, die bestehenden Gesellschaftsformen (wie den Kult des Individuums, des Führers und der Demokratie) ablösen zu wollen. In der Praxis bedeutet die Anonymität – einfach als Anti-Individualismus verstanden – die hemmungslose Ausbeutung der Bandenmitglieder zum Nutzen der Führungsclique, die durch alles, was die Bande produziert, ihr Prestige steigert. Und der organische Zentralismus wird zur praktizierten Heuchelei, denn die Doppelzüngigkeit in Gruppen, die den demokratischen Zentralismus für sich beanspruchen, bleibt eine Tatsache, auch wenn sie geleugnet wird.

Was die scheinbare Einheit im Schoß der Bande aufrechterhält, ist die drohende Ausgrenzung. Diejenigen, die sich nicht an die Normen halten, werden mit Verleumdungen zurückgewiesen; und selbst wenn sie aussteigen, ist die Wirkung dieselbe. Diese Drohung dient auch als psychologische Erpressung für diejenigen, die bleiben. Derselbe Prozess tritt in den verschiedenen Arten von Banden auf unterschiedliche Weise auf.

In der Business-Bande, der modernen Form des Unternehmens, wird der Einzelne hinaus geschmissen und findet sich auf der Straße wieder.

In der Jugendbande wird der Einzelne verprügelt oder getötet. Hier finden wir die Revolte in ihrer rohen Form, die Delinquenz; der Einzelne ist schwach, ihm fehlt der Schutz, und so ist er gezwungen, sich einer Bande anzuschließen.

In der politischen Bande wird der Einzelne mit Verleumdungen zurückgewiesen, die nichts anderes als die Sublimierung des Meuchelmords sind. Die Verleumdung rechtfertigt seinen Ausschluss oder dient dazu, ihn zu zwingen, “aus freien Stücken” auszutreten.

In Wirklichkeit überschneiden sich die verschiedenen Methoden natürlich von einer Bande zur anderen. Es gibt Morde im Zusammenhang mit Geschäftsabschlüssen ebenso wie Abrechnungen, die zu einem Mord führen.

Der Kapitalismus ist also der Triumph der Organisation, und die Form, welche die Organisation annimmt, ist die Bande. Dies ist der Triumph des Faschismus. In den Vereinigten Staaten ist das Racket auf allen Ebenen der Gesellschaft zu finden. In der UdSSR ist es dasselbe. Die Theorie des hierarchischen bürokratischen Kapitalismus im offiziellen Sinne,ist eine Absurdität, da die Bande ein informeller Organismus ist.

Eine Alternative auf der theoretischen Ebene ist die Verherrlichung der Disziplin, die Forderung nach der Reinheit der Militanten5. Das ist so, als würde man auf der Ebene des Sexuallebens sagen, die Askese sei eine Alternative zum Werteverfall. Außerdem schafft diese Sichtweise, die von der Realität abstrahiert, eine Kluft zwischen Theorie und Praxis.

All dies ist Ausdruck der zunehmenden Trennung des Einzelnen von der menschlichen Gemeinschaft, der Armut im Sinne von Marx. Die Bildung der Bande ist die Konstituierung einer Scheingemeinschaft. Im Falle der Jugendbande ist sie das Ergebnis der Fixierung auf den Urinstinkt der Revolte in ihrer unmittelbaren Form. Die politische Bande hingegen will ihre Scheingemeinschaft als Modell für die ganze Gesellschaft hochhalten. Das ist utopisches Verhalten ohne jede reale Grundlage. Die Utopisten hofften, dass durch Nachahmung schließlich die gesamte Menschheit in das von ihnen geschaffenen Gemeinwesen einbezogen werden würde, aber diese Gemeinwesen wurden alle vom Kapital absorbiert. Daher ist dieser Satz aus der Eröffnungsrede der Ersten Internationale aktueller denn je: “Die Emanzipation der Arbeiter muss die Aufgabe der Arbeiter selbst sein.”

Gegenwärtig wird das Proletariat entweder die kommunistische Gesellschaft vorwegnehmen und die kommunistische Theorie verwirklichen oder es bleibt Teil der bestehenden Gesellschaft. Die Mai-Bewegung6 war der Beginn dieser Vorwegnahme. Aus dem Gesagten folgt, dass sich das Proletariat in keiner Organisation wiedererkennen kann, da es sie bereits in anderen Formen erleidet. Die Mai-Bewegung zeigt dies deutlich.

Da das Proletariat gebrochen ist, ist seine unmittelbare Existenzform der Prozess des Kapitals selbst. Die Arbeiter:innenparteien zur Zeit von Marx sind aus der unmittelbaren Bewegung des Proletariats jener Periode hervorgegangen. Ihr Schicksal war es, das parlamentarische Spiel der Bourgeoisie zu spielen. Heute, da die offensichtliche Scheingemeinschaft am Firmament der Politik, die von den Parlamenten und ihren Parteien gebildet wird, durch die Entwicklung des Kapitals ausgelöscht wurde, sind die “Organisationen”, die behaupten, proletarisch zu sein, einfach Banden oder Cliquen, die durch die Vermittlung des Staates die gleiche Rolle spielen wie alle anderen Gruppen, die direkt im Dienst des Kapitals stehen. Dies ist die Phase der Splittergruppen. Zu Marx’ Zeiten lag die Überwindung der Sekten in der Einheit der Arbeiter:innenbewegung begründet. Heute manifestieren die Parteien, diese Splittergruppen, nicht nur einen Mangel an Einheit, sondern auch die Abwesenheit von Klassenkampf. Sie streiten sich um die Überbleibsel des Proletariats. Sie theoretisieren über das Proletariat in der unmittelbaren Realität und stellen sich gegen seine Bewegung. In diesem Sinne verwirklichen sie die Stabilisierungserfordernisse des Kapitals. Das Proletariat muss sie also nicht verdrängen, sondern vernichten.

Die Kritik des Kapitals sollte daher eine Kritik des Rackets in all seinen Formen sein, des Kapitals als sozialer Organismus; das Kapital wird zum realen Leben des Individuums und seiner Seinsweise mit anderen7. Die Theorie, die das Racket kritisiert, kann es nicht reproduzieren. Die Konsequenz daraus ist die Verweigerung jeglichen Gruppenlebens; entweder das oder die Illusion eines Gemeinwesens. Zu diesem Thema können wir die Kritik von Engels auf dem Kongress von Sonvilier wieder aufgreifen. Was er damals über die Internationale sagte, gilt heute für eine Gruppe. Man kann es wie folgt zusammenfassen: Zu Zeiten Marx konnte das Proletariat nicht so weit gehen, sich selbst zu negieren – in dem Sinne, dass es sich im Laufe der Revolution als die herrschende Klasse etablieren musste: 1848, 1871, 1917. Es gab eine endgültige Trennung zwischen der formalen Partei und der historischen Partei. Heute kann die Partei nur noch die historische Partei sein. Jede formelle Bewegung ist die Reproduktion dieser Gesellschaft, und das Proletariat steht im Wesentlichen außerhalb dieser Gesellschaft. Eine Gruppe kann auf keinen Fall vorgeben, ein Gemeinwesen zu verwirklichen, ohne sich an die Stelle des Proletariats zu setzen, das allein dazu in der Lage ist. Ein solcher Versuch führt zu einer Verzerrung, die theoretische Zweideutigkeit und praktische Heuchelei hervorruft. Es reicht nicht aus, die Kapitalkritik zu entwickeln oder gar zu behaupten, dass es keine organisatorischen Zusammenhänge gibt; es ist notwendig, die Reproduktion der Bandenstruktur zu vermeiden, da sie das spontane Produkt der Gesellschaft ist. Dies sollte die Grundlage der Kritik der italienischen Linken und unserer Existenzweise seit dem Bruch mit der PCI sein.

Der Revolutionär darf sich nicht mit einer Gruppe identifizieren, sondern muss sich in einer Theorie wiedererkennen, die weder von einer Gruppe noch von einer Bewertung abhängt, weil sie Ausdruck eines bestehenden Klassenkampfes ist. Das ist eigentlich der korrekte Begriff der Anonymität und nicht die Negation des Individuums (die die kapitalistische Gesellschaft selbst hervorbringt). Der Akkord ist also eine Arbeit, die im Gange ist und entwvlgickelt werden muss. Aus diesem Grund sind theoretische Kenntnisse und der Wunsch nach theoretischer Entwicklung absolut notwendig, wenn sich das Lehrer-Schüler-Verhältnis – eine andere Form des Widerspruchs zwischen Geist und Materie, Führer und Masse – nicht wiederholen und die Praxis der Gefolgschaft wiederbeleben soll. Außerdem muss sich der Wunsch nach theoretischer Entwicklung auf autonome und persönliche Weise verwirklichen und nicht durch eine Gruppe, die sich als eine Art Membran zwischen dem Individuum und der Theorie aufstellt.

Um zu verstehen, warum man mit der Praxis der Banden brechen sollte, muss man auf die Haltung von Marx gegenüber allen Gruppen zurückkommen:

– sich weigern, eine Gruppe, und sei es auch nur eine informelle, wiederzugründen8.

– ein Netz von persönlichen Kontakten zu Personen unterhalten, die den höchsten Grad an theoretischem Wissen erreicht haben (oder dabei sind, dies zu tun): Anti-Mitläufertum, Antipädagogik; die Partei in ihrem historischen Sinn ist keine Schule.9

Die Tätigkeit von Marx bestand immer darin, die wirkliche Bewegung, die zum Kommunismus führt, aufzuzeigen und die Errungenschaften des Proletariats in seinem Kampf gegen das Kapital zu verteidigen. Daher die Position von Marx im Jahr 1871, als er die “unmögliche Aktion” der Pariser Kommune aufdeckte oder erklärte, dass die Erste Internationale weder das Kind einer Theorie noch einer Sekte war. Es ist notwendig, das Gleiche jetzt zu tun. Diejenigen, die sich mit dem in dieser Überblick dargelegten Werk in Verbindung setzen wollen, um es weiterzuentwickeln und für eine detailliertere, präzisere und klarere Darstellung zu sorgen, sollten ihre Beziehungen in die Richtung lenken, die oben in der Diskussion des marxschen Werkes angegeben wurde. Wenn sie dies nicht tun, werden sie in die Praxis der Bande zurückfallen.

Daraus folgt, dass es auch notwendig ist, eine Kritik an der Konzeption des “Programms” der italienischen kommunistischen Linken zu entwickeln. Dass dieser Begriff des “kommunistischen Programms” nie ausreichend geklärt wurde, zeigt die Tatsache, dass an einem bestimmten Punkt die Martow-Lenin-Debatte10 im Herzen der Linken wieder aufflammte. Die Polemik war bereits das Ergebnis der Tatsache, dass die Marx’sche Konzeption der revolutionären Theorie zerstört worden war, und sie spiegelte eine vollständige Trennung zwischen den Konzepten von Theorie und Praxis wider. Für das Proletariat ist der Klassenkampf im Sinne von Marx gleichzeitig Produktion und Radikalisierung des Bewusstseins. Die Kapitalkritik ist Ausdruck eines Bewusstseins, das bereits durch den Klassenkampf hervorgebracht wurde und dessen Zukunft vorwegnimmt. Für Marx und Engels ist die proletarische Bewegung = Theorie = Kommunismus.

 

Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene hilosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur Voraussetzung […] Der Kommunismus, soweit er theoretisch ist, ist der theoretische Ausdruck der Stellung des Proletariats in diesem Kampfe und die theoretische Zusammenfassung der Bedingungen der Befreiung des Proletariats.

Die Kommunisten und Karl Heinzen, zweiter Artikel, MEW 4, S. 321 f.

Das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, gab es für Marx eigentlich nicht. Von der Entwicklung von Militanten, von Aktivismus oder Akademismus war keine Rede. Auch die Problematik der Selbsterziehung der Massen im Sinne der Rätekommunisten (falsche Jünger von R. Luxemburg und echte Jünger des pädagogischen Reformismus) stellte sich für Marx nicht. R. Luxemburgs Theorie der Klassenbewegung, die von Beginn des Kampfes an die Bedingungen für ihre Radikalisierung in sich selbst findet, kommt der Position von Marx am nächsten (vgl. ihre Position über die “Kreativität der Massen”, die über ihre unmittelbare Existenz hinausgeht).

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die bürgerliche Form der Wahrnehmung und Vorstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu überwinden und, wie Marx es tat, Hegels Nachweis des vermittelnden Charakters jeder Form von Unmittelbarkeit wieder aufzugreifen. Denn es ist charakteristisch für das “wissenschaftliche” Denken, die unmittelbare Tatsache als den eigentlichen Gegenstand der Erkenntnis zu akzeptieren, ohne die ihr zugrunde liegende Vermittlung wahrzunehmen und zu begreifen. Auf der Grundlage einer solchen Gnoseologie wird in der kapitalistischen Gesellschaft der gesellschaftliche Schein zur Wirklichkeit und umgekehrt. Das wirkliche Wesen des Proletariats wird verborgen und die Klasse wird in ihrer scheinbaren Lebensform wahrgenommen. Daraus ergibt sich das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, und die Tatsache, dass, wenn das Proletariat sein wahres Wesen offenbart (1905-1917), alle verblüfft und entgeistert sind. Die italienische kommunistische Linke hat trotz ihrer besseren theoretischen Fähigkeiten im Bereich des Proletariats 1950 keinen endgültigen Bruch mit ihrer Vergangenheit (1919-1926) vollzogen. Ihre Kritik am Trotzkismus, am Rätekommunismus usw. führte nicht zu einer vollständigen Wiederherstellung der Marx’schen Vorstellungen von der Partei und vom Proletariat. Aus diesem Grund schwankten ihre offizielle Position und ihr tatsächliches Wesen zwischen einer programmatischen Auffassung als “marxistische Schule” und einem kleinlichen Aktivismus trotzkistischer Prägung. Dieser zweite Aspekt wurde nach 1960 dominant, da eine Clique von Gangstern, die der Theorie und dem Proletariat völlig fremd waren, die “Schule” in Besitz nahm, vor allem dank ihrer anhaltenden Zweideutigkeit bei einigen lebenswichtigen Problemen: der Gewerkschaftsfrage und dem Begriff der “Avantgarde des Proletariats”, der in den Handlungen und in der offiziellen Diskussion eigentlich abgelehnt wurde, aber im offiziellen Kanon der Partei fortbestand. Damals wurde die Martow-Lenin-Debatte über die Frage der Organisation wiederbelebt, was zeigte, dass diese Strömung definitiv tot war und zu ihrem drittklassigen Begräbnis im Mai 1968 führte.

Es sei darauf hingewiesen, dass wir seit unserem Austritt aus der PCI versucht haben, die diskutierte Zweideutigkeit zu beseitigen, indem wir unser Bestes taten, um die positiven Aspekte der Linken aufzuzeigen. Dies führte nur dazu, dass wir die Linke kultivierten und zu ihrem extremsten Ausdruck wurden (vgl. Die Artikel der Invarianz). Und das führte dazu, dass wir in eine Gruppenpraxis zurückfielen. Obwohl wir unsere Gruppe als “informell” betrachteten, brachte sie die unvermeidliche Tendenz mit sich, sich an die Stelle des Proletariats zu setzen. Es geht nicht mehr darum, über die Anpassung im Herzen der Linken zu streiten, sondern anzuerkennen, dass, wenn es eine Anpassung gegeben hat, dies darauf zurückzuführen ist, dass die Theorie nicht von Anfang an eine integrale Theorie des Proletariats war. Daher reicht es nicht mehr aus, zu sagen, dass die Gründung der Partei 1943 verfrüht war; man muss sagen, dass sie eine Absurdität war. Dementsprechend ist es notwendig, mit unserer Vergangenheit zu brechen und zu der Position von Marx zurückzukehren.

Dieser Brief wurde nicht so sehr als eine endgültige und erschöpfende Behandlung des besprochenen Themas verfasst; er ist als ein Bruch mit der Vergangenheit der “ganzen” Gruppe gedacht. Die folgenden Unterschriften sollen diesen Bruch unterstreichen und bedeuten nicht, dass wir unsere frühere Position zum Thema Anonymität aufgegeben haben.

 

1ENG: Franz. Magazin, das von Jacques Camatte herausgegeben wird

2ENG: Gianni Collu: Transition in Invariance Serie I Nr. 8 (1969)

3 LFN: Das hier verwendete Zitat konnte in den MEW nicht gefunden werden, deswegen wurde es im Fließtext ausgelassen. Hier wie in der englischen Übersetzung zu finden:

”Absolute monarchy (which itself is already a product of the growing bourgeois wealth and develops to a point where it becomes incompatible with the old feudal re- lations) necessitates in a determinate way a general power that affirms itself through egalitarian forms. The absolute monarchy must be able to exercise this power on all points of the periphery; it needs this power as the material lever of the general equiv- alent; of the wealth that becomes increasingly effective and powerful in its forms and increasingly independent from all special, local, natural, individual relations.”

K. Marx, Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie (Europaische Verlaganstalt, Frankfurt) p. 873.

4LFN: Im franz. Original Chefaillon; heißt soviel wie jmd. in Führungsposition, der seine Macht wahllos einsetzt.

5 JC: vgl. die Gruppe “Rivoluzione comunista”, die 1964 mit der KPI in der Frage der Schaffung einer echten Elite von Militanten brach, die nichts anderes tun würde, als die Positionen des “Ultrabolschewismus” wiederzubeleben, den Lukacs als Alternative zur opportunistischen Massenpartei sah, zu der die KP Deutschlands innerhalb von zwei Jahren geworden war (vgl. “Towards a Methodology of the Problem of Organization” in History and Class Consciousness)

6LFN: Gemeint sind die Aufstände und revolutionären Bestrebungen in Frankreich im Mai und Juni 1968.

7JC: vgl. hierzu: Marcuse: Der eindimensionale Mensch und Galbraith: Der neue Industriestaat

8JC: vgl. den Briefwechsel zwischen Marx und Engels, verschiedene Werke über die Revolution von 1848 und Pamphlete wie “Die großen Männer des Exils”, 1852)

9 JC: Davon zu sprechen eine Haltung wieder anzunehmen, die Marx in einem bestimmten Zeitpunkt seiner revolutionären Aktivität eingenommen hat, zeugt von einem tiefgreifenden Versäumnis zu verstehen, dass die Phase der formalen Vorherrschaft des Kapitals abgeschlossen wurde. Marx musste nur eine für diesen Zeitraum gültige Position einnehmen. Darüber hinaus ist seine theoretische Position zum Thema der Partei nicht so starr, wie der Brief hier zeigt. Was in den oben genannten Behauptungen noch weniger akzeptabel ist, ist, dass sie zu einer neuen Theorie des Bewusstseins führen könnten, die von außen durch eine elitäre Theorie der Entwicklung der revolutionären Bewegung kommt.

Die Ablehnung der gesamten Organisation ist keine einfache Anti-Organisationsposition. Das so stehen zu lassen, wäre eine erneute Manifestation des Wunsches nach Originalität, sich als anders darzustellen und dadurch eine Position zu erreichen, von der aus Menschen angezogen werden sollen. Von dort aus würde die Bewegung der Racketisierung von vorne beginnen.

Unsere Position zur Auflösung von Gruppen ergibt sich aus der Untersuchung des Werdens der kapitalistischen Produktionsweise einerseits und unserer Charakterisierung der Mai-Bewegung andererseits. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das revolutionäre Phänomen in Bewegung ist und dass das Bewusstsein der Handlung folgt. Dies bedeutet, dass Revolutionär:innen in der enormen Bewegung der Rebellion gegen das Kapital ein bestimmtes Verhalten annehmen werden – das nicht alle auf einmal erworben wird – das mit dem entscheidenden und determinativen Kampf gegen das Kapital vereinbar ist.

Wir können den Inhalt eines solchen “Organisation” vorab betrachten. Sie wird das Streben nach menschlicher Gemeinschaft und der individuellen Bestätigung kombinieren, was das besondere Merkmal der aktuellen revolutionären Phase ist. Es wird auf die Versöhnung des Menschen mit der Natur abzielen, wobei die kommunistische Revolution auch eine Revolte der Natur ist (d. H. Gegen das Kapital; darüber hinaus nur durch eine neue Beziehung zur Natur), dass wir in der Lage sein werden zu überleben und die zweitere der beiden Alternativen abzuwenden, mit denen wir heute konfrontiert sind: Kommunismus oder die Zerstörung der menschlichen Spezies.

Um dies besser zu verstehen, ist es wichtig, alle alten Formen abzulehnen und ohne apriorische Prinzipien in die enorme Bewegung unserer Befreiung einzutreten, die sich auf einer weltweiten Skala entwickelt. Es ist notwendig, alles zu beseitigen, was ein Hindernis für die revolutionäre Bewegung sein könnte. Unter gegebenen Umständen und im Verlauf spezifischer Handlungen wird die revolutionäre Strömung strukturiert und strukturiert sich nicht nur passiv, spontan, sondern darin, wie die Bemühungen in die Richtung der Realisierung des wahren Gemeinwesen (die menschliche Essenz) und des sozialen Menschen, leiten, dies Impliziert die Versöhnung des Menschen mit der Natur (Camatte, 1972).

10LFN: Julius Martow (1873-1923), russicher Revolutionär, Gefährte Lenins und späterer Sprecher der Menschewiki; in dieser Rolle wichtiger Vertreter der Auseinandersetzung zwischen Menschewiki und Bolschewiki.

 

Deutsche Übersetzung September 2022 bis Juli 2023, basierenden auf der englischen Übersetzung unter Zuhilfenahme des französischen Originals.
Franz. Original: De l’organisation; in „Invariance“, Anne V, serie II, no. 2, 1972
Englisch: On organization; in „This world we must leave, and other essays“, Autonomedia, 1995
Fußnoten:
– LFN: Anmerkungen der deutschen Übersetzung
– ENG: Anmerkungen aus der englischen Übersetzung übernommen
– JC: Anmerkungen des franz. Originals bzw. Quellenangaben die im Original im Text waren.